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Eine kurze Geschichte des Schlafs

Die Römer verehrten den Schlaf – die Industrialisierung beschädigte seinen Ruf. Warum die Zeit reif ist für eine neue Schlafkultur.

Die alten Römern hatten es raus. Sie wussten den Schlaf in besonderer Weise zu würdigen. Wann immer ihnen danach war, legten sie sich hin und gönnten sich ein Nickerchen. Praktischerweise hatten sie mehrere Schlafplätze: einen für die Nacht, einen für den Tag und einen weiteren, besonders großen, wo mehrere Menschen Platz fanden. Es gab einen Gott des Schlafes (Somnus) und einen Gott des Traumes (Morpheus). Selige Zeiten!

Mit der Ausbreitung des Christentums sank der Stern des Müßiggangs. Ein berühmtes Paulus-Wort lautet: „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen.“ Der Protestantismus sekundierte: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ Ein Satz wie ein Hieb mit der Zuchtrute auf die Finger. Die im 19. Jahrhundert einsetzende Industrialisierung gab der Lust am Untätigsein den Rest. Die „Leistungsgesellschaft” entstand. Sie gestattete Schlafen nur, damit der Körper wieder fit für den Arbeitsbetrieb wird. Nach und nach wurde die Ruhezeit vereinnahmt – von einem weltumspannenden ökonomischen Verwertungszusammenhang. Mehr und mehr Menschen sahen sich genötigt, die Nachtruhe den Erfordernissen des Tages unterzuordnen. Und das war gleichbedeutend mit: den Erfordernissen der Arbeitswelt. Sie machte sich den Alltag untertan, mit dem Ziel, die wirtschaftliche Produktivität zu maximieren.

Dass wir heute nachts acht Stunden am Stück schlafen – der Fachausdruck lautet: monophasischer Schlaf –, ist eine Konvention, die aus der Zeit der Industrialisierung stammt. Davor war es üblich, dass die Menschen in kurzen Blöcken schliefen, zum Beispiel zweimal vier Stunden (polyphasischer Schlaf). Ein derart flexibles Schlafverhalten war nicht vereinbar mit der auf Effizienz und Planbarkeit bedachten modernen Ökonomie. Lieber den Schlaf in einen einzigen Block packen und auf einen Schlag erledigen. So lautete fortan die Maxime.

Die moderne Ökonomie brachte materielles Wohlstandsdenken hervor, die Utopie der Vollbeschäftigung und die Sehnsucht nach ewigem Wachstum. Damit hat sie den Ruf des Schlafs bis heute beschädigt. „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin” – die Redensart ist symptomatisch für eine Welt, in der dauernde Aktivität als Statussymbol gilt und Schlaf als notwendiges Übel. Heute arbeitet man häufig, bis man umkippt. Laut einer 2021 veröffentlichten Studie der UN sterben jährlich 745.000 Menschen an Überarbeitung. Für die alten Römer, die zu leben (und sich auszuruhen) wussten, eine abwegige Vorstellung.

Doch vielleicht schlägt das Pendel gerade wieder in die andere Richtung. Dr. Hans-Günter Weeß arbeitet seit 25 Jahren klinisch und wissenschaftlich im Schlafzentrum am Pfalzklinikum in Klingenmünster. Er schrieb das Buch „Schlaf wirkt Wunder. Alles über das wichtigste Drittel unseres Lebens” und wünscht sich „eine neue Schlafkultur”. Sie wirke sich positiv auf unsere Gesundheit und Lebenserwartung aus, sagt er. Auch die Wirtschaft und Arbeitswelt profitiere von ausgeschlafeneren Mitarbeitern, weil sie weniger Fehler machten und seltener krank seien. Win-win, wenn man so will. Darauf einen Power-Nap.

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